|
Von der Kunst, ein Loch in einen Sandhaufen zu graben
Der Berg ist eigentlich gar keiner.
Was daran liegt, dass der Flecken, an dem sich heute Aachen befindet, vor 100 Millionen Jahren mitten in einem tropischen Meer lag.
Durch Bewegungen der Erdkruste, vor allem durch die Drift der Afrikanischen Platte nach Norden, wurden die Alpen aufgefaltet, das Rheinische Schiefergebirge hob sich, und das Meer floss ab.
Übrig blieb der Meeresboden, durch den der neue Tunnel führen wird.
Und dieser Feinsand kommt einem überall im Aachener Wald entgegen, sobald man ein bisschen an der Humus-Schicht kratzt. Es ist ein tückisches Zeug, und das Vorhaben der Mineure ähnelt dem Versuch, ein Loch durch einen Haufen Zucker zu graben.
Ein Berg geht auf die Reise. Dort, wo Mineur Rafid Pelet am 01. April 2005 dem Fotografen entgegenkommt, wird einmal die Hochgeschwindigkeits-Trasse nach Belgien verlaufen. Der Eingang zum zweiten Buschtunnel wird 25 Meter links von dem alten Tunnelportal liegen. Die Böschung mit dem Bagger, die zum Zeitpunkt der Aufnahme noch bis an den alten Buschtunnel reicht, wird etwa 30 Meter nach links zurückverlegt und mit einer hohen Böschungsmauer gesichert, die einmal fast so hoch wird wie der Ausleger des Baggers.
© Foto: Ulrich Simons |
Entsprechend aufwändig ist die Sicherung des Vortriebs, während für den Ausbruch an der Ortsbrust ein kleiner Tunnelbagger vollauf ausreicht. Das Verfahren nennt sich in der Sprache der Tunnelbauer (der "Mineure") "Vortrieb in Teilquerschnitten und kleinen Abschlägen mit voraus- und nacheilender Sicherung".
Und weil drei österreichische Ingenieure (Leopold Müller, Ladislaus von Rabcewicz und Franz Pacher) in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts auf die Idee kamen, zur Sicherung derartiger Vortriebe kubikmeterweise Beton an Decken und Wände zu spritzen, ist diese "Spritzbetonbauweise" unter dem Namen "Neue Österreichische Tunnelbautechnik", abgekürzt NÖT, inzwischen zu einem Standardverfahren im Tunnelbau geworden.
Schauen wir uns das einmal am Beispiel des neuen Buschtunnels näher an:
- Vortrieb in Teilquerschnitten ...
Die gesamte Ausbruchsfläche (umgangssprachlich: "das Loch")
wird am Ende einen Querschnitt von 80 Quadratmetern haben. Zu viel, um es bei diesem lockeren Material in einem Arbeitsgang kontrolliert auszubaggern.
Also erfolgt der Vortrieb (das "Loch-Machen") in zwei Arbeitsgängen: Zunächst wird das Gewölbe (die "Kalotte") bis zum anderen Ende des Tunnels ausgeräumt und dann auf dem Rückweg das Mittelstück (die "Strosse") und das untere Gegenstück zur Kalotte, die "Sohle".
- ... und kleinen Abschlägen ...
Auch die sind durch das lockere Material bedingt. Eine Sprengladung reichte, dann wäre der Aachener Wald in diesem Bereich Geschichte, und vom Stellwerk Ronheide ginge der Blick ungehindert bis Lüttich. Aus dem gleichen Grund scheidet auch der Vortrieb mithilfe einer Tunnelbohrmaschine (TBM) aus.
Ganz nebenbei: Die TBM S-229, die zurzeit (2007) im Gotthard-Basistunnel im Einsatz ist, ist 441 Meter lang. Sie ist damit momentan die weltweit längste Tunnelvortriebseinrichtung. Die anderen sind aber auch nicht wesentlich kürzer.
Jedenfalls machen solche Ungetüme für ein 660 Meter langes Loch im Sand nicht wirklich Sinn. Also kommt für den Hinweg ein kleiner Tunnelbagger zum Einsatz. Der hat ziemlich oft Pause, weil die Sicherung der Ortsbrust viel mehr Zeit in Anspruch nimmt als der eigentliche Ausbruch. Zwei Meter Vortrieb schaffen die Mineure auf diese mühevolle Weise pro Tag.
- ... mit vorauseilender Sicherung ...
Bevor der Bagger zum Einsatz kommt, wird der Berg präpariert. Ein "Rohrschirm" bildet ein künstliches Gewölbe, unter dem der Vortrieb abläuft. Rund 50 Rohre, 17 Meter lang und mit einem Außendurchmesser von knapp 14 Zentimetern, werden dazu mithilfe eines Bohrwagens paarweise in den Sand gebohrt und anschließend mit Spritzbeton gefüllt ("verpresst"). Da die Rohre seitliche Löcher haben, durch die der Beton austritt, wirkt das ganze am Ende wie ein riesiger Dübel.
Die Rohre werden nicht genau parallel in den Berg gesetzt, sondern leicht fächerförmig, etwa wie eine gespreizte Hand. Dadurch entsteht - von der Seite betrachtet - ein Sägezahn-Profil. Alle 14 Meter gibt es so eine Kante, in die (also mit drei Metern Überdeckung) der nächste Rohrschirm gesetzt wird. (Wenn das jetzt zu kompliziert war, schauen Sie einfach mal hier.)
Insgesamt liegen am Ende rund 40 Kilometer Rohre in einer 30 Zentimeter dicken Spritzbeton-Hülle im Berg, die nur dazu diente, den Vortrieb zu sichern. Für die Statik des eigentlichen Tunnels mit seiner 40 Zentimeter dicken Beton-Innenschale werden sie nicht benötigt. Der wird später als eigenständige Betonröhre mithilfe eines Schalwagens in die Spritzbeton-Baugrube eingesetzt.
- ... und nacheilender Sicherung.
Nach erfolgtem Ausbruch, also Meter für Meter, wird die Ortsbrust mit Bohrankern, Baustahlmatten und Spritzbeton gesichert, ebenso die Kalotte. Erst dann wird der Stützkeil in der Mitte der Ortsbrust vorsichtig weggenommen.
Stählerne Ausbaubögen (in der Kalotte jeden Meter, in Strosse und Sohle alle zwei Meter) sorgen für zusätzliche Stabilität der Baugrube. Die temporäre Kalottensohle, auf der sich die Baufahrzeuge und Mineure durch den Berg bewegen, wird auf dem Rückweg beim Ausbruch von Strosse und Sohle mit dem Baggermeißel zerbröselt und wieder ausgebaut.
All das sehen Sie in der Galerie "Vortrieb - die Tage des Büffels" - und das ist nur das Anlegen der Baugrube. Denn der eigentliche Tunnelbau beginnt erst mit dem Betonieren der Schalsohle und der Einfahrt des Schalwagens in den Berg.
* Seit Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose", in dem kein einziges Blümchen vorkommt, wissen wir, dass verwirrende Titel die Neugier durch die Decke jagen. Das alleine war mein Ziel. Finden Sie also bitter selber heraus, wozu man beim Tunnelvortrieb einen "Büffel" benötigt. |
|
zur Bildergalerie |
|
|